Mein lieber Golden, was bist Du geworden?

Vergleicht man alte Fotoaufnahmen von Golden Retrievern mit denen aus heutiger Zeit, meint man, einer völlig anderen Rasse gegenüber zu stehen. Man kann sagen, dass nur die heutigen Field Trial Linien den damaligen Golden Retrievern noch verblüffend ähnlich sehen. Doch nicht nur das Erscheinungsbild der Goldens hat sich stark verändert – auch die Einstellungen der Züchter und Besitzer und der Umgang mit den Hunden hat einen Wandel erfahren. Aber lassen wir doch eine überaus engagierte Golden Besitzerin, Züchterin, Richterin und Buchautorin zu Worte kommen:

Mein lieber Golden – was bist Du geworden?
von Sally Gray

Ich kenne Retriever seit meiner Kindheit in England und beschäftige mich mit ihnen seit über 25 Jahren (sowohl als Züchterin von Golden, als auch als Richterin aller Retriever-Rassen zu verschiedenen Zeiten im Retriever Club Schweiz: Mitglied im Vorstand, in der Zuchtkommission, verantwortlich für Jagdwesen, Ausstellungswesen-Präsidentin). So habe ich die Entwicklung dieser Rassen mit viel Interesse und – vor allem was den Golden Retriever betrifft – mit wachsender Sorge beobachtet. Da mir dieser von allen Retrievern besonders am Herzen liegt, gelten meine weiteren Bemerkungen eben dieser Rasse.In den siebziger Jahren war es nicht so einfach wie heute, Golden-Welpen zu verkaufen, da die Rasse ja nicht sehr bekannt war. So haben wir Züchter immer gut überlegt, ob und von welchem Rüden wir unsere Hündin decken lassen sollten. Die Würfe, die zu jener Zeit gefallen sind, haben fast alle der Rasse „etwas Positives“ gebracht, auch wenn die Welpen wie heute zumeist Familienhunde waren. Diese Goldens waren nämlich die Botschafter für ihre Rasse in unseren Ländern. Die Käufer sind weit angereist, hatten sich eingehend über die Rasse informiert und waren bereit, auf einen Welpen mehrere Monate zu warten. Wir hatten gute Kontakte zu unseren Käufern und waren wie eine große Familie. Ich kann mir vorstellen, dass die Atmosphäre in Goldenkreisen damals ähnlich der war, die heute bei den Nova-Scotia-Besitzern zu bemerken ist.

Dann kam die Wende. Tierärzte in unseren Ländern hatten unsere Goldens kennen gelernt und waren beeindruckt von ihrem Wesen, ihrer Gesundheit, Robustheit und Lernfähigkeit. Sie empfahlen die Rasse weit und breit. Die Medien zeigten Goldens in allen Lebenslagen: als Familienmitglied, Kumpel für einen Single, schön, lieb, lustig… kurz als perfekten Hund. Man sah einen Golden und war einfach der Meinung „einen solchen Hund müsse man haben“. Die Nachfrage wuchs, mehr und mehr Leute erklärten sich zum Züchter. Manche von ihnen verstanden herzlich wenig von der Rasse (Eigenschaften, Geschichte, einflussreiche Zuchthunde), geschweige denn von Anatomie oder Genetik. Die „alten“ Züchter und diejenigen der neuen Generation, die sich Mühe gaben, zuerst die Rasse in allen Aspekten gründlich kennenzulernen, ehe sie mit der Zucht anfingen, betrachteten diese Entwicklung mit befremden und Sorge – mehrere haben ihre Zucht inzwischen sogar aufgegeben, weil sie von einer kommerziellen und für die Rasse untypischen Entwicklung so enttäuscht sind. Dies kann dem Golden leider nur weiter schaden, weil die Rasse gerade diese Züchter und deren Kenntnisse und Erfahrungen dringend braucht.

Ich höre Sie protestieren:“… unsere Welpen sind super, die Elterntiere sind ja vom Verein „zur Zucht zugelassen“, die Zuchtstätten sind kontrolliert! Wir gehen zu Ausstellungen! Wir arbeiten mit unseren Hunden! Was will diese Frau?“ Überlegen Sie kurz – wo sind die Ursachen dafür zu finden, dass das Niveau der Goldens in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich nicht besser ist als z.B. in Holland, Dänemark oder England, wo alle Zuchtkontrollen empfohlen, aber trotzdem fakultativ sind ? Warum, wenn unsere Zuchtbestrebungen so vielen Kontrollen und Bedingungen unterworfen sind, sind die Goldens in unseren Ländern nicht Superhunde? Man liest die Zuchtbestimmungen und ist – als Anfänger – überzeugt, dies sei der Weg zum perfekten Hunde. Aber: erstens sind Hunde keine Geräte, die man nach Computerplan am Fließband produziert. Zweitens werden diese Bestimmungen, vor allem was Formwert und Wesen anbetrifft, so locker angewendet, dass nur ein auffallend schlechter Hund durchfällt. Diese Züchter bringen einen Hund zur Zuchtzulassung, die sie eigentlich selber als „für die Zucht nicht wertvoll“ erkennen sollten und es gibt leider sehr wenige Richter, die einen Hund als „nicht gut genug für die Zucht“ beurteilen, weil er einfach mittelmäßig ist, d.h. er hat keinen groben Fehler im Wesen oder Aussehen, aber es fehlt ihm einfach an „Qualität“ – etwas, was leider für viele Leute sehr schwer zu erkennen ist. Daraus folgt, dass mit unbedeutenden Golden (von Wesen, Aussehen oder Abstammung her) gezüchtet wird, was die ganze Idee einer „Zuchtauslese“ sinnlos macht.

Wenn man eine Zuchtauslese durchführen will, muss man nur das Allerbeste  nehmen – siehe z.B. die Zuchtauslese bei Pferden. Beim Golden würde das heißen, nur HD und ED frei und vorzüglich auf mehreren Ausstellungen – gesunde Augen – perfektes Wesen – mehrmals „vorzüglich“ auf Jagdprüfungen: das alles in einem Hund und mit Rücksicht auf seine Abstammung! Dies Letztere wird bei und im Rahmen der Zuchtzulassungsbeurteilung gar nicht in Betracht gezogen – lächerlich, wenn soviel über „Erbliches“ geredet wird. Der Leser kann sich vorstellen, dass die Zuchtbasis dann so klein sein würde, dass die Rasse nach einiger Zeit vom Aussterben bedroht wäre.

Denken Sie nicht, dass ich für eine solche Verschärfung plädiere. Ich habe mich vor ein paar Jahren stark für eine Lockerung der Schweizer Zuchtbestimmungen (Retrievers) eingesetzt. Die volle Verantwortung für die Auswahl seiner Zuchttiere sollte auf den Schultern jedes Züchters liegen. Mit Ausnahme der gesundheitlichen Kontrollen, die wie immer Pflicht waren, sollte der Züchter seine Zuchthunde selber aussuchen und was Qualität (Wesen, Aussehen, Abstammung) betrifft, dafür verantwortlich sein. Leider wurde diese Verantwortungsübertragung nach ca. drei Jahren zurückgezogen. Es hat sich eigentlich nicht klar herausgestellt, ob viele Züchter von der großen Nachfrage nach der Rasse profitieren und sich mit den Mindestanforderungen begnügen oder ob sie einfach nicht fähig waren ihre Hunde selber korrekt und unparteiisch zu beurteilen. So ist es heute in der Schweiz wieder so wie in Deutschland, dass ein paar Leute der Zuchtkommission sagen, ob man mit seinem Hund züchten darf oder nicht. Man muss sich doch fragen, ob sich das Niveau der Rasse tatsächlich verbessert hat, seit in den letzten Jahren das rigorose Reglement wieder in Kraft ist. Es ist auch höchste Zeit, dass darüber diskutiert wird, ob es ethisch korrekt ist, effektiv alle Verantwortung dem Züchter durch unzählige Kontrolle (Hund, Zuchtstätten, Würfe) abzunehmen und wie weit das Eingreifen in die persönliche Freiheit gehen darf.

Soviel zum Thema züchten! Es gibt jedoch noch etwas, was mich beim Anblick vieler Goldens nicht nur traurig macht, sondern sogar sehr ärgert. Viele Leute befragen mich über Goldens und ich bin erstaunt über das Bild, das manche Leute sich von dieser Rasse machen. Ich habe auch die Gelegenheit, Goldens in verschiedenen Situationen zu beobachten und zu sehen, wie ihre Besitzer mit ihnen umgehen. Der Golden und der Labrador sind zu fast gleicher Zeit in unseren Landen populär geworden und sind den gleichen Zuchtbedingungen unterworfen. Wie hat es der Labrador nur geschafft, immer noch seine Robustheit zu halten und von seinem Besitzer als echter Hund betrachtet zu werden, während so viele Goldens von ihren Besitzern (auch hier sind manche Züchter gemeint) als eine Art „lebende Plüschtiere“ behandelt zu werden? Sie werden beinahe stolz als empfindlich, abhängig beschrieben. Wir hören, dass man nicht zu viel von ihnen verlangen darf, ihnen gegenüber nie die Stimme erheben, ihnen immer nachgeben, sie nie alleine lassen soll. Wenn man Ihnen solche Bemerkungen in Bezug auf ein dreijähriges Kind machen würde, so käme Ihnen der Gedanke: „Was für ein verwöhntes Kind!“ Aber anscheinend wollen viele, dass der Golden, dieser sportliche, natürliche Jagdhund solche untypischen Eigenschaften besitzt. Wussten Sie z.B., dass Goldens keine Halsbänder vertragen? Mir war auf einem Gelände in Deutschland eine größere Anzahl Goldens aufgefallen, die mit einer Art Fährtengeschirr ausgestattet wurden. Auf meine Frage, ob dies tatsächlich alles Fährtenhunde sind, bekam ich zu hören, dass Goldens mit Halsbändern beim „an der Leine ziehen“ Halsweh bekommen. Ich fragte mich, ob ich meine Hunde viele Jahre hindurch wirklich derart schlecht behandelt habe, weil ich ihnen ein Halsband anlegte und ihnen das „Laufen an der losen Leine“ beibrachte. Der Golden ist ein intelligenter, ganz normaler Hund. Er soll sich freudig in der Familie unterordnen, wobei er mit Liebe und Respekt, aber nicht mit Sentimentalität behandelt wird.

Anlässlich von Ausstellungen beobachte ich, dass es die Golden-Besitzer sind, die ihre Hunde ständig um sich haben müssen, auch wenn sie damit anderen Leuten (das Publikum, das gekommen ist und bezahlt hat um Hunde zu sehen) den Platz am Ring sperren. Echte Campingplätze werden am Ring aufgebaut. Und dann kommt die „Vorbereitung“! Die Goldens werden gekämmt, getrimmt, gesprayt (und wie!) fast unaufhörlich, auch im Ring während des Richtens. Baden, etwas trimmen und gründliches Kämmen zu Hause und dann vor dem Auftritt schnell noch zurechtkämmen (ohne Spray) genügt völlig bei einem Golden mit korrektem Haarkleid. Es bleibt die Frage, ob diese übertoilettierten Goldens das haben. Ein Vergleich mit American Cocker Spaniels ist unvermeidbar: jeder weiß, dass diese Rasse heutzutage kaum noch an ihren Ur-Zweck erinnert. Wollen wir wirklich, dass Goldens die „Barbie-Puppen“ der Retriever werden? Haben Sie neuerlich von den kleinen Mädchen in Amerika gelesen, die im Alter von 4-5 Jahren von ihren Müttern geschminkt und gestylt werden, damit sie wie kleine Erwachsene aussehen? Manchmal erinnert mich das ganze Getue um den Golden daran. Sie haben sich bestimmt über diese Mütter empört, gesagt, dass die Kinder keine Kindheit genießen können. Nehmen diese Aussteller nicht zuviel von der „Hundeheit“ ihrer Goldens weg? Wie ist es dazu gekommen, dass Goldens die einzigen Retriever im Ausstellungsring sind, die im Ring nicht ohne Hilfe stehen können? Es ist nirgendwo vorgeschrieben, dass der Golden auf diese Künstliche Art und Weise präsentiert werden muss. Ist es nicht viel schöner, wenn ein Hund am Ende der losen Leine freistehend und freundlich mit der Rute wedelnd zu seinem Besitzer vertrauensvoll aufschaut? Bis vor gar nicht langer Zeit sind Goldens überwiegend so vorgeführt worden. So konnte man sehen, wie freundlich und aufgeweckt diese Hunde sind (waren?). Wenn ich heute als Richterin diesen armen Hunden – buchstäblich „fest im Griff ihrer Führer“ – in die Augen schaue, um den Ausdruck zu sehen (s. Rassestandard), dann finde ich nur totale Langeweile, die sich wenig später auch in der Bewegung ausdrückt. Haben sie eine Idee, welchen Eindruck das macht – nicht nur auf den Richter, sondern auch auf die Zuschauer? Schöne, leblose  Hunde! Ich möchte wirklich nicht glauben, dass diese Hund „nichts im Kopf“ haben, keine Gefühle, kein Interesse, dass sie wirklich so dumm sind, wie sie oft im Ring wirken. Aber das Ausstellen wird für sie fast zu einer  – ich verwende dieses Wort bewusst – Qual gemacht, so dass sie am liebsten total abschalten. Ist dies die Realität, wie man den Golden von seiner besten Seite zeigt?

Ist man dabei zu vergessen, dass wir es beim Golden mit einer Jagdhunderasse zu tun haben – mit einem sportlichen Hunde, nicht mit einem Spielzeug oder Babyersatz?

Wie ist es nun zu diesen lächerlichen Zwinger- und Rufnamen gekommen? Wie oft sind dies nicht mehr, als liebliche, liebkosende, nichtssagende Ausdrücke (oft in ganz unkorrektem Englisch). In anderen Worten wieder eine Verniedlichung einer edlen Rasse. Solche Kosenamen sollten, wie bei uns Menschen, unter uns bleiben und nicht auf dem Geburtszeugnis (Ahnentafel) erscheinen! Nicht das jeder Golden „Rex“ oder „Asta“ heißen soll, aber er verdient doch einen anständigen Namen und nicht so etwas wie „Mysterious Birth by Moonlight“ oder „Life for Love“.

Meine Damen und Herren, die Popularität der Golden Retriever hat diese große Wende in der Zucht mit sich gebracht und gleichzeitig die Gefahr, dass die ursprünglichen Qualitäten dieser wunderbaren Rasse verloren gehen. Jeder Züchter, jeder Golden-Besitzer, jeder Golden-Richter (ob für Schönheit, Wesen oder Leistung) muss sich darüber Gedanken machen. Obwohl es vielleicht schon „viertel vor zwölf“ ist, glaube ich, dass es noch nicht zu spät ist. Viele von Ihnen wissen, was mit dem Cocker Spaniel, dem Irish Setter, dem American Cocker geschehen ist – alle eigentlich kernige Arbeitsrassen – sind inzwischen Modehunde geworden und verkörpern heute alles, nur nicht das, was ihre „Urzüchter“ sich vorgestellt haben.

Es ist also dringend notwendig, auf dieser Talfahrt in die Mittelmäßigkeit die Bremse zu ziehen. Da die Hände der Züchter von den (Retriever)-Rasseclubs gebunden sind, sollten diese letzteren ein gutes Maß an Grundkenntnissen, nicht nur hinsichtlich Kynologie und Zucht, sondern vielmehr und vor allem hinsichtlich der Rasse von ihren Züchtern verlangen, anstatt ihnen bei der Auswahl der Zuchthunde immer mehr Bedingungen aufzuerlegen. Die Zuchtvereine müssen unbedingt den erfahrenen Züchtern, jenen, die sich wirklich für die Rasse pflichtbewusst engagieren, mehr Bewegungsfreiheit lassen und ihnen Vertrauen entgegenbringen. Nur so werden sie die Anerkennung ihrer einflussreichsten Mitglieder behalten und auch alle Golden-Aficionados dazu ermuntern, sich für die Beibehaltung des ursprünglichen Wesens und der natürlichen Anlagen des Golden Retrievers einzusetzen – jene Qualitäten, die neben dem attraktiven Aussehen diese Rasse so beliebt gemacht haben.

Beim Anblick eines Goldens, bei der Planung der Golden-Zucht, in unserem Umgang mit Golden, sollten wir immer folgende Sätze vergegenwärtigen:

  • Allgemeines Erscheinungsbild: symmetrisch, harmonisch, lebhaft, kraftvoll, ausgeglichene Bewegung. Kernig mit freundlichem Ausdruck.
  • Charakteristika: Wille zum Gehorsam, intelligent mit natürlicher Anlage zu arbeiten.
  • Wesen: freundlich, liebenswürdig, zutraulich.

Gerade diese Eigenschaften, die am Anfang des Kennel Club- und des FCI – Standards für den Golden stehen, haben unsere Goldens so beliebt geschätzt gemacht!

Dieser Artikel erschien im Golden Retriever Jahrbuch 1997, Herausgeber Beate und Gereon Ting, © Romney´s Verlag Bad Münder

twooutlinel

Ich möchte mich ganz herzlich bei Beate Ting und Sally Gray bedanken, dass ich diese kritischen und äußerst direkten Bemerkungen zur Entwicklung und dem Stand der Rasse übernehmen durfte, der (leider) heute noch genauso aktuell ist, wie zu seinem Entstehungsdatum. Er spricht mir von der Seele!